Der neue Reichstag: Ein kosmischer Tempel?


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Ein für die Zeitschrift 'Hagia Chora' verfasster Artikel.

Die neue Kuppel des Reichstags in Berlin gehört zu den größten Touristenattraktionen der Stadt. Tagtäglich wandern sich Tausende von Besuchern hoch über dem Plenarsaal des Deutschen Bundestages auf kreisförmigen Rampen bis zur Plattform mit ihrer 10 Meter großen luftigen Öffnung gleich Planeten auf den sphärischen Bahnen eines antiken Himmelsmodells. Fast unwillkürlich stellt man sich die Frage, ob der Architekt hier ein Modell des Kosmos schaffen wollte - und wenn, ob die so geschaffene symbolische Verbindung zwischen gestirntem Himmel und drunten regierenden Abgeordneten mehr ist als nur ein rein dekoratives Element.

Lord Norman Foster of Thames Bank entwarf diesen 600 Millionen DM teuren Reichtagsumbau. 41 Millionen DM erhielt er dafür. Eine Summe, die der Stararchitekt durchaus für angemessen hält. Schließlich hat er sich aus ärmsten Verhältnisse hochgearbeitet. Die Eltern konnten ihm kein Universitätsstudium bezahlen. Bevor sich Foster als Architekt etablierte und es bis zum Ritterschlag durch die englische Königin samt Sitz im britischen Oberhaus brachte, schlug er sich mit diversen Gelegenheitsjobs durch. Spätestens seit dem Bau der Hongkong- und Shanghai-Bank ist bekannt, dass Foster magisch-mystische Elemente in seinen Großbauten verwirklicht (Anm. 1). Die Vorderfront des gewaltigen Hochhauses gestaltete er nach Vorgaben eines chinesischen Geomanten. Nach den Lehren des chinesischen Feng Shui soll es negative geistige Energien vom Gebäude fern halten, positive Energien bewahren.

Auf zwölf Säulen, die den Plenarsaal umgrenzen, ruht die gewaltige Kuppel des Neuen Reichtags. Zwölf Tierkreiszeichen zählt die Astrologie bereits im Römischen Reich. Daraus leitete das Christentum, das den Gestirnglauben als Staatsreligion ablöste, die zwölf Jünger Christi ab (Anm. 2). 360 Spiegel auf 30 Ebenen leiten im Innern der Reichstagskuppel das Licht hinunter zu den Abgeordneten (Anm. 3). Je 30 Grade hat ein Sternzeichen, der ganze Zodiak 360 Grade. Einen Kuppelbau mit Sphärenbahnen im Innern der Wölbung und eine kreisförmige Öffnung zum Himmel hin gibt es erstmals vor knapp zwei Jahrtausenden: Der Pantheon, entstanden unter der Herrschaft des astrologiegläubigen Kaisers Hadrian in Rom. Dort soll der Kaiser lt. Aufzeichnungen des Römers Dio Cassius Recht gesprochen haben, in der Pose eines Sol invictus, eines unbesiegbaren Sonnengottes (Anm. 4). Ein Kunstprojekt in nördlichen Reichstags-Innenhof lädt alle Bundestagsabgeordneten ein, Erde aus ihrem Wahlbezirk mitzubringen. Der wie die Erdoberfläche leicht gewölbte Boden des römischen Pantheon bestand aus Marmor von allen Provinzen des riesigen Römischen Reiches. Womit also bewiesen wäre, dass der Architekt ein Astrologe ist und die unserer heutigen Parlamentarier ihre Gesetze nach dem Stand der Sterne beschließen?

Halt, nicht ganz so schnell! Was man aufgrund der baulichen Ausgestaltung des Reichstagsgebäudes in die zukünftige Politik Deutschlands mantisch hineindeuten kann und welche sonstigen Interpretationen der ebenfalls neu gestaltet Bundesadler zulässt, ist nachlesbar (Anm. 5). Doch ist die postulierte Intention des Architekten auch aufgrund belegbarer Quellen herausdeutbar? Bereits beim römischen Pantheon ist das keineswegs einfach. Zwar lässt sich generell der Gestirnkult bei dem Römern historisch belegen (Anm. 6). Auch könnte der Thron des Obersten aller Römer in der Mitte des Vielgöttertempels errichtet worden sein, erhaben über den Besuchern, umgeben von Abbildern der Gestirngottheiten. Man weiß aus historischen Quellen, dass in zwei Nischen des alten Baus einst Statuen von Venus und Mars standen. Ferner kann glaubhaft angenommen werden, dass die Kuppel in Rom damals blau bemalt und mit Sternen geschmückt war. Und jede Kassettenebene im Kuppelrund dürfte einem der damals bekannten Planeten Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn. Tagsüber schien (und scheint) die Sonne durch den Oculus, die 9 Meter große Öffnung in der Kuppeldecke, nachts der Mond.(Anm. 7)

Auch architektonisch gilt der römische Pantheon als Meisterwerk. Die gewaltige Kuppel wurde aus feinstem Zement gefertigt. Das Rezept ging mit dem Untergang des Römischen Reiches verloren. Erst nach seiner Neu-Erfindung im Jahre 1824 konnte wieder mit Beton gebaut werden. Noch einmal fast hundert Jahre dauerte es, bis mit dem Bau der Jahrhunderthalle in Breslau die Rekordspannweite der Pantheon-Kuppel von 43 Metern überschritten wurde (Anm. 8). Die Zerstörungswut der siegreichen Christen, die fast alle astrologischen Tempel zerschlugen, überlebte der römische Tempel dank seiner Umwidmung zur christlichen Kirche. Später entstanden ähnliche Bauten unter dem Signum des Kreuzes, z.B. auf Malta.

Doch den eindeutigen, akademisch belegbaren Beweis, dass Kaiser Hadrian das Pantheon-Gebäude erklärtermaßen zur astrologischen Herrschaftsausübung nutzte, konnte im Jahre 1999 vor der Archäologischen Gesellschaft in Berlin nicht geführt werden (Anm. 10). Akademische Kritiker wiesen darauf hin, dass der Kuppelbau damals ausnahmslos allen Göttern (Pan = gesamt, Thon = den Göttern) des riesigen Römischen Reiches geweiht worden sein könnte . Kaiser Hadrians führte nach gewonnenen Kriegen im Jahre 121 n. Chr. eine Politik der Befriedung. Eroberte Länder und Völkerscharen sollten unter dem Reichsgedanken geeint werden. Und zumindest formell existierte noch die Demokratie. Eifersüchtig wachten Senat und Volk von Rom darüber, dass der Kaiser nicht größenwahnsinnig werde. Weithin sichtbar prangten die Buchstaben SPQR (senatus populusque Romanus) auf den Feldinsignien der Soldaten. Conclusio: Ein klug regierender Kaiser Hadrian umgab sich symbolisch mit den Göttern des Himmeln und stellte seinen Thron in die Mittel eines kosmologischen Tempels - aber er sprach laut nicht darüber.

Einst würden die Hohenzollern von Berlin aus ganz Deutschland regieren. Das sagte Johann Carion voraus, Hofastrologe des brandenburgischen Kurfürsten im Jahre 1520 (Anm. 11). Sein prachtvolles Portrait ist in der Gemäldegalerie Berlin ausgestellt. Nach der Einverleibung Schlesiens durch Preußen gestattete Friedrich der Große den eroberten katholischen Schlesier im evangelischen Berlin den Bau einer eigenen Kirche. Der Preußenkönig bestimmte, die St.-Hedwigs-Kathedrale sei "nach dem Vorbild der alten Römer in seiner Hauptstadt ein Pantheon zu errichten, dass allen Religionen gewidmet sey und wo jede in ihrer Reihe ausgeübt werden sollte" (Anm. 12). Thronfolger Wilhelm IV, unter rosenkreutzerischem Einfluss (Anm. 13), ließ in Potsdam eine mit Planetensymbolen dekorierte Pyramide errichten.

Im 19. Jahrhundert konzipierte der Architekt Schinkel, preußischer Oberlandesbaudirektor, in Berlin die Rotunde des Alten Museums. Ähnlich wie vermutlich einst auch im römischen Bau sind Skulpturen der Planetengötter zu sehen. Auf fünf übereinander gelegten Bahnen gestalten Kassetten die Decke, in welche die zwölf Tierkreiszeichen gemalt sind. All dies spiegelt den Anspruch des Architekten wieder, die „Antike in ihren geistigen Prinzipien festzuhalten und zugleich auf die Bedingungen einer neuen Weltperiode zu erweitern“ (Anm. 14). Erhalten zudem Schinkels große Tierkreiszeichendecke, heutzutage im Palais am Festungsgraben zu sehen. Als 1871 Wilhelm I. zum Kaiser des Deutschen Reiches unter Führung Preußens gekrönt wurde, erinnerte man in der Thronrede an die alte astrologische Prophezeiung von Johann Carion (Anm. 15). Im Jahre 1988 wurde zur Bundesgartenschau in Berlin-Britz ein gigantischer Kalenderplatz samt Planetenweg errichtet, umgeben von einer Vielzahl von Kunstwerken, die ohne Zweifel dem Geist des New Age entspringen (Anm. 16).

Die Verbindung von Politik und Sternenkult hat in Berlin also Tradition. Wenn Norman Foster auf Wunsch der Abgeordneten an der Schwelle des 21sten Jahrhunderts auf das Berliner Parlamentsgebäude eine Kuppel setzt, die baulich dem Römischen Pantheon nachempfunden ist, so mag folglich die Frage berechtigt sein, ob Baumeister oder Bauherr sternengläubig seien. Hier die Fakten: Fosters erster Reichtags-Umbauentwurf enthielt überhaupt gar keine Kuppel! Die hatte der spanische Architekt Santiago Calatrava vorgeschlagen, einer der drei Preisträger des Wettbewerbs (Anm. 17). Dessen Modell war jedoch nach Meinung Fosters nicht mehr als eine leere Geste, funktionslos (Anm. 18). Auch Fosters zweiter Entwurf, mit dem er dann den Wettbewerb gewann, zeigt noch statt Kuppel ein Zeltdach.

Die deutschen Parlamentarier bestanden auf einer Kuppel. Foster entwickeln mehrere Dutzend Modelle. Vielleicht brachte ihn eine Wortassoziation auf die Idee, auch den Pantheon als Vorlage zu wählen? Im ersten Wettbewerb hatte er auf „symbolischen Formen aus der Antike und Klassik“ verwiesen. Das Preisgericht des Bundestages bemerkte wohlwollen, er stelle den Reichstag in eine Tradition mit dem Parthenon (Jungfrauentempel auf der Athener Akropolis). Letztendlich segnete der Ältestenrat des Bundestages die Pantheon-ähnliche Kuppellösung ab.

Meine Anfragen bzgl. der Kuppel bei Foster & Partners in London blieben unbeantwortet. Fosters offizielle Statements sind meist technischer Natur. Er hebt die bauökologischen Aspekte hervor (Anm. 19), so z.B. die Sonnenkollektoren auf dem Dach oder die Verbindung zum Abwärme-Wasserspeicher in 300 Meter Tiefe. Am 18.9.97 feierte man das Kuppel-Richtfest. Und exakt um 12:00 Mitteleuropäischer Sommerzeit des 19. April 1999 übergab das Parlament mit seiner ersten Sitzung den neuen Reichstag mit seiner zum Himmel offenen und tief in der Erde verankerten Konstruktion seiner politischen Bestimmung (Anm. 20). Womit bewiesen wäre, dass dem Architekten und den Parlamentarier die Sterne vollkommen egal sind?

Halt, nicht ganz so schnell! Damals im alten Rom setzte sich astrologiegläubige Kaiser in einen gewaltigen kosmologischen Tempel. Vornehm schwieg er. Die durch Krieg vereinigten Völkerscharen sollten mit Hilfe des Reichsgedanken befriedet werden. Auch die eingeweihten Baumeister z.B. der Kathedrale von Chartre offenbarten ihr Wissen lediglich durch die Tat. Aus den Werkstätten mittelalterlicher Dome gingen die Freimaurerlogen mit ihren Schweigegelübden hervor. Das Schweigen des modernen Architekten und unserer heutigen Parlamentarier im wiedervereinigten Deutschland, das nach Jahrzehnten des Kalten Krieges befriedet ist, lässt sich in vielerlei Weise deuten...

Lassen wir also den Bau selbst sprechen: Wenn der Deutsche Bundestag dort tagt (und nur dann!), strahlen 12 Scheinwerfer von unten gegen die 360 Spiegel, die das Licht in alle Richtungen des nächtlichen Himmels über Berlin werfen. Das erinnert an die modernen kosmologischen Parlamentsbauten Jatiyo Sangsad Bhaban in Dhakar, Bangladesh (Louis I. Kahn) und Chandigarh im Indischen Bundesstaat Punjab (Le Corbusier). Der französische Stararchitekt unterschied zwischen exoterischen Symbolen, deren Bedeutung der Öffentlichkeit leicht zugänglich sein sollte, und esoterischen für einen kleinen Kreis Auserwählter. So soll im Plenarsaal von Chandigarh jedes Jahr am Tag der Parlamentseröffnung exakt auf die Stunde genau eine Statue von einem einfallenden Sonnenstrahl beschienen werden. Le Corbusier über astronomische Instrumente in seinem Skizzenbuch: „Sie weisen den Weg, Menschen wieder mit dem Kosmos zu verbinden“ (Anm. 21).

Anmerkungen

1) Mann 1996:85
2) Hoppmann 1997:38
3) Wollheim 1999:47
4) Stirlin 1988:166
5) Müller, 2001, Zerling 2001:256
6) Hoppmann 1999
7) Martini 2000
8) GEO 9/1998:148
9) Seifert 1999
10) Martini 1999
11) Hoppmann 1998:54
12) Bastübner 1991:2
13) Sievert 1996:127
14) Cullen 1998
15) s. Anm. 10
16) Hoppmann 2000
17) Molinari 1998:105
18) Foster 200:135
19) Bundesministerium 1993:18
20) Bundesbaugesellschaft 1998
21) Foster 2000:168

Literatur

Bastübner-Gröger, Sibille: St.-Hedwigs-Kathedrale Berlin, in: Schnell, Kunstführer Nr. 1900, München 1991
Bundesbaugesellschaft Berlin: Das Unternehmen Parlaments- und Regierungsviertel, Berlin 1998
ders.: Parlament und Regierung bauen am Spreebogen, Berlin 2000
Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau: Umbau des Reichstagsgebäudes zum Deutschen Bundestag. Architektenwettbewerb, Bonn-Bad- Godesberg 1993
Cullen/Stockhausen : Die Rotunde des Alten Museum in Berlin,. Berlin 1998
Deutscher Bundestag: Der neue Bundestag in Berlin, Köln 2000
Foster, Norman: Der neue Reichstag, Leipzig-Mannheim 2000
Geo, Ausgabe 9/98, Hamburg 1998
Hoppmann, Jürgen G.H.: Astrologische Ikonografie in Werken von Botticelli, Dürer, Cranach und Schaffner, in: Jürgen G.H. Hoppmann (Hg.): Melanchthons Astrologie. Der Weg der Sternen­wissenschaft zur Zeit von Humanismus und Reformation. Ausstellungskatalog, Wittenberg 1997
ders.: Astrologie der Reformationszeit, Faust, Luther, Melanchthon und die Sternendeuterei, Berlin 1988
ders.: Antike Sternengötter und Berlins Hofastrologe Johann Carion. Internet-Dokumentation der Museumsausstellung von 1999 in der Website: www.come.to/astrology.history
ders.: Planetenwege - Wandertipps für Astrologen, in: merCur, Heft 3, München 2001
Mann, A.T.: The Round Art: The Astrology of Time and Space, London 1977
ders.: Mystische Architektur. CH - Wettswil 1996
Martini, Wolfram: Prospektive und retrospektive Erinnerung. Der Pantheon Hadrians in Rom. Das Bauwerk und seine Deutung. Vortrag vor der Archäologischen Gesellschaft zu Berlin am 27. April 1999 im Völkerkundemuseum Dahlem
ders.: Prospektive und retrospektive Erinnerung. Der Pantheon Hadrians in Rom. In: Wolfram Martini (Hg.) Architektur und Erinnerung, Vandenhoek & Ruprecht, 2000
Molinari, Luca: Santiago Calatrava. Biblioteca di Architettura Skiva, Mailand 1998
Müller, Hans-Jörg: Psychogramm der Republik. Das Reichstagsgebäude als Resonanzraum der Politik, in: Feng Shui Spezial, Ausg. 8, Beilage zu Hagia Chora, Ausgabe 8, Mühldorf 2001
Seifert, Helmut: Haus Gottes - Der Dom zu Mosta, in: Hagia Chora, Ausgabe 3, Mühldorf 1999
Sievert, Hans H. (hg. v. Clemens Zerling): Im Zeichen von Kreuz und Rose, Berlin 1996
Stirlin, Henry: Astrologie und Herrschaft, Frankfurt/Main 1988
Wollheim, Ralf: Der Reichstag Berlin, München 1999
Zerling, Clemens: Götter-, Götzen- und Gralstempel, CH - Aarau 2001

Abbildungen

Spiegel in der Reichstagskuppel
Blick hinunter in den Parlamentssaal
Aufriss des neuen Reichstagsgebäudes
Innenraum des Parlamentssaals
Pantheon Rom Innenansicht
Modelle für die neue Reichstagskuppel
Erdspeicher des neuen Reichstags
Richtfest für den neuen Reichstag
Pantheon Rom Außenansicht
Strahlen aus der Reichstagskuppel
Gedankt sei Dr. Kaernbach, Sekretariat des Kunstbeirates im Deutschen Bundestag, sowie der Bundesbaugesellschaft für Fotos und Grafiken des Reichstags , Prof. Klaus Stemmer, Archäologisches Institut der FU Berlin, für historische Bilder des Pantheon sowie Prof. Wolfram Martini, Dekan an der Universität Gießen.


Planetenwege


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In der Zeitschrift 'merCur' im Verlag Friedrich Maier erschienen.

"Die Astrologie funktioniert auch, wenn sie nicht daran glauben." Dieser Spruch setzt oft Menschen in Erstaunen, die gegen Astrologie religiös argumentieren. Es gibt eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Untersuchungen, welche physikalischen Beziehungen zwischen Kosmos und Seele erforscht haben, unter anderem von einem namhaften Astronomen mit Lehrstuhl an der Universität Plymouth/England (1). Und wer selbst Horoskope deutet, wird oft von der Exaktheit zeitlicher Auslösungen wie Transite oder Prognosen beeindruckt. Zu vorausberechneten Zeit geschehen Ereignisse, entsprechen der Analogiekette der Deutungsregeln.

Entwickeln wir die Eingangsthese weiter, so können wir uns fragen, ob dies auch für den psychologischen Ansatz gilt, speziell für die Kombination zwischen Jungscher Archetypenlehre und Astrologie. Es gibt vielfältige Erfahrungen in astrologischen Selbsterfahrungsgruppen, Astrodrama und Horoskopaufstellungen, in denen die Planetengötter lebendig zu werden scheinen. Der Frankfurter Psychologe Peter Orban spricht davon, dass sich der Daimon manifestiert (2). Plötzlich identifiziert man sich mit Saturn oder Jupiter, den man in der Theatergruppe eigentlich nur schauspielerisch darstellen wollte. Der Archetyp manifestiert sich. Wer so etwas noch nicht erlebt hat, dem sei Friedel Roggenbucks Astrodrama-Camps empfohlen - alljährlich in Thassos an genau jenem Strand, wo Odysseus einst den Gesang der Sirenen lauschte. (3)

Dabei muss man nicht unbedingt in altgriechischen Terminologien denken. Hausaltäre der Planetengötter finden sich in jeder Wohnung. Merkurs Tempel ist der Briefkasten, Gott Uranus funkt aus der Steckdose, Neptun sitzt in Hausbar und Apothekenschrank, dem Unterweltgott Pluto opfert man tagtäglich in der Toilette, Mond lebt vom Wechselspiel zwischen Supermarkt und heimischer Küche, das kultivierte Feuer von Mars steckt in der Zentralheizung und erwartet draußen auf dem Parkplatz sehnsüchtig den Zündschlüssel seines Herrchens bzw. Frauchens (4).

Doch manifestieren sich die astrologischen Archetypen auch bei den Ungläubigsten der Ungläubigen, bei den Astronomen? Wer diese Nagelprobe machen will, der schnüre die Wanderstiefel, packe Butterstullen und Thermoskasse in den Rucksack, mache sich auf die Wanderschaft über einen der zahlreichen Planetenwege Europas. Das sind maßstabsgerechte Modelle unseres Sonnensystems, auf streng naturwissenschaftliche Weise berechnet und angelegt. Und doch: Überall erfahren wir die Archetypen. In Zürich ist der Pfad über den Uetliberg (5), in St. Gallen eine sanft vom Botanischen Garten bis hinunter zum Bodenseeufer gehende Strecke (6), in Hagen/Ruhrgebiet ein komplexes System direkt im Stadtzentrum mit der Sonnenkugel auf dem Turm des Rathauses (7), in Herne der Dorneburger Park (8), in München eine Strecke an der Isar vom Deutschen Museum zum Tierpark (9), in Warnemünde ein Pfand entlang des Ostseestrandes (10), in den Alpen das durch Luis Trenker bekannt gewordene Grödner-Tal (11).

Vielleicht könnte man den mittelalterlichen Pilgerpfad den Heiligen Johannes der Sterne von Toulouse über die Pyrenäen bis nach Santiago de Compostela in unseren astrologisch-touristischen Reiseführer aufnehmen. Auch er wird von Astrologen immer noch erwandert (12) und selbst moderne Künstler nutzen ihn für ihre Projekte (13). In der Projektphase befindet sich der Sonnenuhren-Wanderweg Potsdam, bei dem erst mal Astrologen und Astronomen zusammenarbeiten (14).

Überall in der Welt alte und moderne Planetenwege. Mit im Boden eingelassenen Kupferplatten, Schautafeln, beschrifteten Steinen oder gar Plexiglasmodellen wird auf die Gestirne hingewiesen, im maßstabsgerechten Abstand zueinander. Kümmern wir uns nicht darum, ob sie ganz bewusst als spirituelle Einweihungswege oder als naturwissenschaftliche Lehrmodelle konzipiert wurden. Persönliche Rücksprachen beim zuständigen Architektenbüro, das für den Planetenweg auf dem BUGA-Gelände in Berlin zuständig war, bestätigten eindeutig, dass die Herren Ingenieure definitiv nicht dem Sternenglauben huldigten. Doch darum kümmern sich astrologischen Archetypen nicht.

Sonne, Merkur, Venus und Mars befinden sich inmitten eines Tanzplatzes am Kalenderplatz-Café. Die Astrologie nennt sie die persönlichen Planeten. Das passt doch ganz gut zu einer persönlichen Vergnügungsstätte. Weiter draußen am Beginn des sogenannten arkadischen Weg liegt die Kupferplatte des philosophischen Planeten Jupiter. Weiter geht es zu Saturn, in der Astrologie auch als Hüter der Schwelle bezeichnet. Der Weg ist kühler und monotoner geworden. Gleich danach kommt der mächtige Zaun des Gartengeländes samt Pförtnerloge. Jenseits des eigentlichen Parkgeländes öffnet sich der Raum zu einer weiten Fläche, darin der Landeshaupthöhenpunkt mit einem abstrakten Modell der Krümmung des Weltraums. Daneben finden wir auf dem Pfad die Platte des Uranus. Freiheit und Intellekt sind seine astrologischen Attribute.

Noch viel weiter am Weg liegt der mystisch-sensible Planet Neptun, daneben ein alter Weltkriegs-Bunker, vollkommen überwachsen von Efeu, vermodert und von Künstlern mit Windharfen, deren Singsang man nachts, wenn die Stadt ruht, leise singen hören kann. Nun ist der Sandweg zu Ende. Eine Kopfsteinpflaster-Straße mit vielen Gullydeckeln beginnt. Ganz weit draußen, neben einem Teich, der in einer tiefen Senke liegt, finden wir zwischen Plutos Platte. Die Kanalisationsdeckel schaffen einen materiellen Eingang zur Unterwelt des städtischen Abwassersystems, die Planetenplatte einen seelischen - wenn man einen Sinn hat für die astrologischen Archetypen, wenn man den Weg der Planeten sehenden Auges und mit wachen Sinnen abschreitet.

Es lohnt sich, diese Einweihungswege des Raumfahrtzeitalters abzuschreiten und darüber zu philosophieren, ob die Gaststätte am Bodensee neben dem Planeten Pluto wirklich plutonisch ist, wieso auf den Uetliberg in Zürich beim Uranus ein Sendemast steht, die Isar beim Neptun in München plötzlich zum weiten Meer wird. Vielleicht trifft bei diesen Wanderschaften auf einen archetypischen Planetengott. Ganz bestimmt lernt man Menschen kennen, astro-logische und astro-nomische...

Anmerkungen


(1) Percy Seymour: Astrologie - Beweise der Wissenschaft. Verlag Zweitausendeins, Frankfurt/Main 1997
(2) Vortrag ca. 1986 im Logenhaus Emser Straße in Berlin
(3) Friedel Roggenbuck, Untere Blatt 44, D-78253 Eigeltingen, Tel. 07774 / 8483, www.astrodrama.de
(4) Weiteres siehe Nicolas Klein: Das senkrechte Weltbild, München 1986
(5) Uetliberg Planetenweg, Arnold von Rotz, Seefeldstr. 247, CH - 8008 Zürich
(6) Oskar Keller: Führer zum Planeten-Wanderweg St.Gallen-Steinach, Berichte der St. Gallischen Naturwissenschaftlichen Gesellschaft, Band 82, 1985
(7) Planetenmodell Hagen, Sonderdruck aus: Perspektiven, Univ. Witten/Herdecke, Nr. 21, Juni 1990
(8) Dieter Rösener: Planetenweg. In: Sternwarte Herne, Astononomie 4, 1991
(9) Beate Schuster: Neun Planeten und eine Sonne. Deutsches Museum, Museumsinsel 1, 80538 München
(10) Alfred Hellwig: Begleitheft zum astronomischen Lehr- und Wanderweg, Kulturbund der DDR, Rostock 1979
(11) Oscar Insam: Il sistema solare. Zienda Soggiorno Turismo S. Cristina
(12) Kontakt zu spanischen Astrologen vie Rafael Gil Brand, Email rafaelgil@freenet.de
(13) Where Rock and Ocean Meet - Das Santiago de Compostela Projekt. Ausstellung im Haus am Lützowplatz, Berlin 2001
(14) Projekt Sonnenuhren-Planetenweg Potsdam siehe www.come.to/sundial.planetway
(15) Bundesgartenschau - Mitteilungen aus dem Vermessungswesen, Heft Nr. 15 vom Juli 1984, Der Senator für Bau- und Wohnungswesen, Berlin 1985



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Planetengott Saturn

Saturn

als Mythos bei Akron














Lichtenberger
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Cosmos and Culture
The Lichtenberger Prophecy
Cosmos and Culture, Bristol 1997


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