Standpunkte
Der Planetengott Saturn wird nach klassischer Manier des Mittelalters den Zeichen Steinbock und Wassermann zugeordnet. Die Entdeckung des Planeten Uranus zur Zeit der Französischen Revolution durch den kauzigen Militärmusiker Herschel aus Hannover, der nach England auswanderte und dort in seinem Vorgarten ein riesiges selbstgebasteltes Fernrohr errichtete, das jenes der Royal Astronomical Society zu deren Mißbehagen technisch um Längen schlug, diese Entdeckung also führte nun keineswegs – auch wenn heutige Astronomen dies immer wieder behaupten – zum Zusammenbruch des astrologischen Glaubensgebäudes.
Zu den Tierkreiszeichen, die immer noch die gleiche Planetenzuordnung wie vor zweitausend Jahren aufweisen, gehört der Stier mit seinem Zeichenregenten Venus. Geld, Besitz, Wohlstand, aber auch die Sünde der Wollust ordneten die Sternendeuter ihm früher zu. Heutzutage werden abstraktere Begriffe wie Abgrenzungsfähigkeit, Selbstwertgefühl und Depot-Trieb verwendet.
Man spricht nicht mehr davon, daß ein Horoskop gut oder schlecht ist, sondern von geeigneten oder ungeeigneten Anlagen. Die psychologische Astrologie untersucht, wie jemand sein Horoskop auslebt, was er verdrängt, projiziert, sublimiert, welche Planetenenergien und Konstellationen er in der Hemmung oder Kompensation erlebt bzw. entwickelt hat, auslebt, erfährt und begreift. Eine moderne Horoskopberatung ist quasi die psychologische Form der Anlage-Beratung, Interpretationen des astrologischen Therapeuten sollen dem Klienten leicht wie ein maßgeschneiderter Mantel passen.
Doch so gut man das Ganze auch meint, durch die Hintertür der Beratungspraxis hat sich schon längst wieder der mittelalterliche Geist der Inquisition eingeschlichen und breit gemacht. Am Markt der Psychoszene trifft man auf die ewig gleich lächelnden, aalglatten Charaktermasken. Die hilflosen Helfer der psychologischen Astrologie sind oft genug in ihrem eigenen Leben gescheitert, haben verkrachte Beziehungen und stabilisieren ihre eigene Unsicherheit nur noch über die Beratungssituationen. Die von ihnen laut vorgetragenen Ideale einer erlösten Venus-Konstellation oder bewußt entwickelten Stier-Anlage steigern sie in dem Maße, in dem sie selbst ihre eigenen Lebensträume zu Grabe getragen haben. Der zur Beratung kommende Klient sitzt in der Psycho-Falle - und hat es meistens auch noch verdient. Die Leute wollen halt, wenn es ihnen im normalen Leben schon so schlecht geht, einen waschechten Astro-Guru für ihr Geld sehen. „The show must go on“ heißt es da für den professionellen Astrologen im New-Age-Zeitalter.
Wenn Zeit einen Charakter hat, folglich jeder Mensch als Kind seiner Zeit einen ganz individuellen Sternenpaß besitzt, dann kann man ihn natürlich auch via Geburtsdaten ferndiagnostisch beurteilen. Wer heutzutage als Astrologe im Kontakt mit seinen eigenen menschlich-allzumenschlichen Schwächen bleibt und beim Horoskopedeuten auch mit dem eigenen Herzen schaut, vermeidet das Schlimmste. Ansonsten besteht die Gefahr des blinden Projizierens, was besonders bei der Personalplanung per Horoskop fatale Folgen haben kann. Hinzu kommen die Probleme der Geburtszeitkorrektur. Da der für das Errechnen des Aszendenten so wichtige Zeitpunkt in vielen Fällen nicht auf die Minute genau eruiert werden kann, bemühen sich seriöse Astrologen um eine entsprechende Korrektur.
Doch nicht alle Sternendeuter können mit den Schicksalsimplikationen ihrer Arbeit richtig umgehen. Sie halten einfach nicht der Verlockung stand, in der Rektifikation so lange die Geburtszeit zu verschieben, bis das Horoskop vollends zum Prokrustesbett jenes armen Teufels wird, auf den sie es abgesehen haben. „Sie wollen steuern, manipulieren, in einer psychischen Inflation (Ego-Aufblähung) auf eigene Faust Schöpfer spielen, den Nornen gleich die Schicksalsfäden und Lebensströme durch ihre Hände rinnen lassen - in selbstherrlicher Anmaßung und ihr Wissen um die höheren Dinge mißbrauchend.
Wie sehr in früheren Zeiten die Beurteilung politisch wichtiger Personen per Horoskop vorgenommen wurde, ist bereits am Beispiel der Hohenzollern geschildert worden. Als eine der markantesten Personen der Reformationszeit gilt natürlich der Reformator höchstselbst. Was war das bloß für ein Mensch, dieser Martin Luther: neuer Messias oder Antichrist? Sein Horoskop müßte man kennen, die Geburtsdaten wissen, genauere Geburtsdaten, exakte und sicher recherchierte - und das ist so eine Geschichte für sich ...
Aby Warburg (1866-1929), einer der namhaftesten Kunsthistoriker unseres Jahrhunderts, schildert das Thema in seinem legendären Aufsatz „Heidnisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeiten“ ungefähr folgendermaßen: Ein geheimnisvoller Kreis von sternengläubigen Dunkelmännern rund um Magister Philipp Schwarzerdt, genannt Melanchthon, fälschte das Horoskop des großen Reformators Martin Luther, hintertrieb dessen edle humanistische Ziele, brachte durch geheime Kanäle den Geist der heidnisch-dämonischen Antike in die helle, lichte Humanistenwelt des beginnenden 16. Jahrhunderts. Nergaletir könne sie geheißen haben, jene Verschwörerbande, nach einem Sternenpriester aus babylonischen Zeiten. Magister Philippus, Geheimdiplomat Carion und der päpstliche Astrologe Gauricus sollen gemeinsam Luthers Geburtsdatum derart verdreht haben, daß der Sternenpaß fortan eine Satansgeburt verriet.
Nun denn, für heutige Freunde der Astrologie ist diese Schilderung natürlich ziemlich unbefriedigend. Man möchte nachhaken, Hintergründe erfahren, geschichtliche Zusammenhänge begreifen. Der Autor selbst fordert hierzu auf, wenn er vorbemerkend schreibt, „daß dieser Versuch einem Spurenfinder später doch helfen könne ...
Nehmen wir die Fährte also wieder auf, und zwar zuerst einmal beim Pfadfinder höchstselbst. Man höre und staune: Die wohl größte Sammlung alter Literatur über Sternenmythos und Sternenkunde, heutzutage als Warburg-Institut der Universität von London angegliedert, verdankt ihre Entstehung einem Pakt, den zwei Knaben zu Beginn ihrer Pubertät schlossen. Irgendwie erinnert das Ganze an die biblische Geschichte von Esau und Jakob – das Erstgeburtsrecht für ein Linsengericht. Aby als ältester Sohn schlug damals seinem Bruder Max einen folgenschweren Vertrag vor: Lebenslange Finanzierung aller Bücher gegen Übertragung des väterlichen Erbes. Die Eltern besaßen in Hamburg ein florierendes Bankhaus. Daß dieses schon ein paar Indianerbücher und Abenteuerromane wert wäre, muß sich Max gedacht haben und schlug ein. Er konnte damals ja auch nicht ahnen, welch gewaltige Dimensionen die Sammlung seines Bruders einmal erreichen würde.
Beständig schwoll sie an, auf weit über 65.000 Exemplare meist seltener und höchst kostspieliger Originalausgaben. Schließlich und endlich stand sogar der Bau einer eigenen Bibliothek, eines kompletten, einzig zu diesem Zwecke konzipierten Hauses in Hamburgs Heilwigstraße an. Aby Warburg ließ, unter finanzieller Unterstützung seines glücklicherweise im Bankgewerbe recht erfolgreichen Bruders Max, in diesem Haus einen merkwürdig geschwungen angeordneten Lese- und Studiersaal einrichten.
Eine solche Forschungsbibliothek brauchte Archivare und Wissenschaftler, und zwar nicht irgendwelche bitteschön. Zu den Geistesgrößen, die dort hauptamtlich Anstellung fanden und sich auch maßgeblich am Aufbau der Hamburger Universität beteiligten, gehörten Fritz Saxl und Ernst Cassirer. „Man verschwende seine Zeit nicht, wenn man untersucht, womit andere Leute ihre Zeit verschwendet haben“, soll letzterer einmal gesagt haben. Diese Bemerkung sei ihm verziehen, denn seine Pionierarbeit in puncto Philosophiegeschichte ist wirklich einzigartig.
Zusätzlich wurde eine erlesene Sammlung von Kunstgegenständen zur Geschichte des Sternenglaubens und der Sternenkunde aufgebaut. Zu nennen seien beispielsweise der Gipsabdruck eines gewaltigen griechischen Planetengötterreliefs und das Diorama einer römischen Mithraskultstätte.
Wie schwierig sich die Zeiten und wie hoch sich die finanziellen Ansprüche dieses Projekts auch immer entwickelten, der Pakt der Brüder behielt stets seine Gültigkeit. Auch später im Dritten Reich, als die Bank zwangsarisiert wurde und die ganze Familie unter großen Mühen auswanderte, mobilisierte der Bankier Max Warburg (sein Bruder Aby war bereits verstorben) große Geldmittel, um wenigstens die Bücher leihweise nach England zu retten.
Mindestens die Hälfte der Werke war so selten, daß sich davon kein zweites Exemplar in der Londoner Universitätsbibliothek fand. Inzwischen ist das Warburg-Institut der Londoner Universität angegliedert und auch für Forschungen von außerhalb geöffnet. Es beinhaltet eine der – wenn nicht sogar die – größte Sammlung alter astrologischer Literatur. Dort wird zudem die gesamte Privatkorrespondenz von mehr als 20.000 Briefen erfaßt, die Aby Warburg im Rahmen seiner Studien schrieb.
Ob er sich wohl jemals selbst ein Horoskop erstellen ließ, um etwas über sich zu erfahren, die eigene Psyche zu verstehen? Der Gedanke scheint völlig absurd - jedenfalls unter den etablierten Kunsthistorikern. Nur daß er rege, meist kritische Briefwechsel mit zeitgenössischen Astrologen führte, ist bekannt.
Eigentlich wollte Aby Warburg seine Bildersammlung im damals geplanten Planetarium am Berliner Zoo ausstellen. Das Gebäude wurde nie gebaut, und so entschied er sich für das Planetarium im umgebauten Wasserturm des Hamburger Volksparks. Nach Warburgs Tod versuchten die dortigen Astronomen während der NS-Zeit mehrmals vergeblich, die Ausstellung der Öffentlichkeit zu präsentieren. Obwohl sie ihre rational-kritische Haltung überdeutlich herausstellten, bekamen sie von den maßgeblichen Behörden keine Erlaubnis. Allein die Erwähnung des Themas Sternenglaube konnte damals empören. Erst 50 Jahre später konnte die Ausstellung endlich der Öffentlichkeit präsentiert werden. Unter dem beratenden Team der Experten war natürlich kein Astrologe vertreten...
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